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22.05.2006

"Rückkehr zur Geschäftsgrundlage"

Böblingen/Sindelfingen: Rund 700 Demonstranten folgten dem Aufruf zur Kundgebung für eine "Leise A 81" am Goldberg

Von unserem Redakteur Hansjörg Jung

Rätschen, Pfeifen, Tröten zumindest eine Zeit lang war am Samstag auf der S-Bahn-Brücke am Goldberg nichts vom Autobahnlärm zu hören. Dafür sorgten rund 700 Demonstranten aus Böblingen und Sindelfingen, die für verbesserten Lärmschutz im Zuge des Autobahn-Ausbaus auf die Straße gingen.

"Wir wollen uns nicht ein zweites Mal verschaukeln lassen. Wir fordern den Erhalt der Wohngebiete - dafür werden wir kämpfen", schloss Dr. Thorsten Breitfeld, Sprecher der Initiative "Leise A 81", die Demonstration am Samstagmittag. Rund 700 Autobahn-Anwohner aus Sindelfingen und Böblingen waren dem Aufruf der Bürgerinitiative gefolgt und in drei Zügen zur S-Bahn-Brücke marschiert. "Wir wollen damit zeigen, dass uns die Wohngebiete am Herzen liegen und wir mit der Lärmbelästigung nicht länger leben wollen", so Dr. Breitfeld.

Die bestmögliche Lösung

Daher fordert die Initiative im Chor mit den Stadtverwaltungen von Böblingen und Sindelfingen die bestmöglichen aller Lärmschutz-Lösungen: Den Deckel auf die Autobahn zu legen. So wie es ohnehin beim Bau der Autobahn in den 70 er-Jahren "Geschäftsgrundlage" zwischen der Landesregierung und den Städten gewesen sei, unterstrichen die beiden Oberbürgermeister Alexander Vogelgsang und Dr. Bernd Vöhringer.

"Nur", so der Böblinger OB, "aufgeschrieben hat es damals keiner. Wir haben nichts in der Hand. Aber die Zeitzeugen sagen einhellig, dass die Überdeckelung die Geschäftsgrundlage war." Ein schriftlicher Hinweis dazu so Sindelfingens OB Dr. Bernd Vöhringer, finde sich auch in einem Gutachten für den Neubau der A 81, in dem die Gutachter der Landesregierung die Überdeckelung empfehlen.

Davon sind die Autobahnplaner im Regierungspräsidium heute weit entfernt. Was den Sindelfinger OB umso mehr in den Harnisch bringt, da nach den derzeitigen Planungen die Lärmschutzmaßnahmen nicht dazu geeignet sind, in Sindelfingen den Lärm auf die Grenzwerte zu drücken. Bernd Vöhringer: "Ja wo sind wir denn, wenn selbst die Planungsbehörde ihre Grenzwerte einhält? Ich glaube nicht, dass dort ein ordentlicher Job gemacht wird".

Um Geld dreht sich alles

Deshalb soll die Arbeit besser gemacht werden - und zwar von einem unabhängigen Gutachter, der im Auftrag der beiden Städte die Kosten für die unterschiedlichen Lärmschutzmaßnahmen ermitteln soll. Denn um das Geld dreht sich alles. Eine Kostensteigerung von 80 auf 150 Millionen Euro durch die Überdeckelung, sei angesichts des strukturellen Defizits im Staatshaushalt nicht darzustellen, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger am Rande einer Veranstaltung in Holzgerlingen. Wer suggeriere, dass ein Deckel problemlos zu machen sei, der sei nicht aufrichtig. Binninger: "Wir müssen zur Ehrlichkeit zurückkehren".

Zu den Kosten der jeweiligen Lärmschutzmaßnahmen, so Dr. Vöhringer, gebe es indes bislang keine bestätigten Zahlen. Grund genug für die beiden Städte, dies einem Gutachter zu überlassen. Doch auch ohne Gutachter weiß OB Alexander Vogelgsang an der vorgelegten Planung im Detail einiges auszusetzen. "Der Flüsterasphalt senkt die Lärmbelastung zwar um rund fünf Dezibel, aber er muss immer wieder neu hergestellt werden, sonst verliert er seine Wirkung und wir stehen wieder da."

Bei Schmutz ist es aus mit Flüstern

Sprich: Wenn Schmutz die großen Poren dieses leiseren Fahrbahnbelags verstopft, dann ist es aus mit Flüstern. Die Folge: Der Belage müsste erweitert werden, was sowohl Kosten, als auch Staus an diesem viel befahrenen Autobahnteilstück - in nächster Zukunft sind dort 100 000 bis 120 000 Fahrzeuge am Tag prognostiziert - verursacht. Alexander Vogelgsang: "Sicherer und nachhaltiger wäre der Deckel und dafür treten wir ein."

"Wir haben noch keine transparente Planung gesehen, die zeigt, was es kosten würde, mit konventionellem Lärmschutz die Grenzwerte einzuhalten", sagte Dr. Thorsten Breitfeld. Sein Argwohn: Die Grenzwerte werden in Sindelfingen deshalb überschritten, weil die Lärmschutzwand aus Kostengründen zu niedrig angesetzt wurde. Jenseits einer Höhe von sechs Metern müsste die Lärmschutzwand aufwändiger gegründet werden, was die Kosten erheblich verteuerte.

Die beiden Städte und die Bürgerinitiative wollen in der nächsten Zeit bei Staatssekretär Rudolf Köberle im Innenministerium, das im Land für die Verkehrspolitik zuständig ist, ihre Bedenken vortragen.


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